“Das proaktive Handeln ist sehr wichtig für die Glaubwürdigkeit”
Interview Karl-Friedrich Lamm
Herr Lamm, welche Rolle spielt das Thema Gesundheit in Büroimmobilien aktuell und in Zukunft?
Im Zuge der hochtechnisierten Gebäudetechnik in modernen Arbeitswelten spielt das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz eine große Rolle. Klimatisierung und Zugerscheinungen, Open Space und Schallprobleme, Desk sharing und psychische Wirkungen durch den öffentlichen Arbeitsplatz sind einige Stichworte. Dazu kommen unbekannte Einflüssen aus Wirkungen unbekannter Baustoffe und Materialien. Die energetische Optimierung führt zu dichten Gebäuden contra Frischluftwechselrate, geschlossene Fenster contra die psychologische Wirkung öffenbarer Fenster, Tageslichtsteuerung contra den individuellen Arbeitsplatz und persönliche Befindlichkeiten. Die Attraktivität eines Arbeitsplatzes hängt von vielen weichen Faktoren ab, um Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten ist jedes nachvollziehbare Argument wichtig.
Welche Motive treiben Investoren und Bestandshalter in diesem Zusammenhang an?
Die Zertifizierung eines Mehrwertes wird in dem heutigen Wettbewerb von Standorten um Büroflächen immer wichtiger. Sprich, man kann dokumentieren, mehr gemacht zu haben als andere. Den Bestandshalter wird das Thema Nachhaltigkeit und Gesund Bauen mehr treiben, da er langfristig mit den Auswirkungen seines Gebäudes zurechtkommen will. Auch was den Umbau und die Revitalisierung angeht, will man sich nicht mit ungeahnten Risiken von heute verbauten Baustoffen belasten, die morgen vielleicht als Sondermüll zu entsorgen sind. Der Zwang von Mietern, sich im Sinne der Mitarbeiterattraktivität mit gesünderen Büroflächen auseinanderzusetzen, sollte also auch den Investor antreiben.
Wie behalten Akteure und Entscheider ihre Glaubwürdigkeit in Sachen Gesundheit?
Mit den Jahren wird es bestimmt Langfriststudien geben, die den Einfluss vom gesünderen und „ungesunden“ Büroimmobilien belegen. Wissentlich ein schadstoffärmeres Produkt einzubauen und dies für einen unwesentlichen Kostenbeitrag, belegt durch nachgewiesene Prüfzeugnisse, kann doch nur von Vorteil sein. Zum Thema Arbeitsplatzqualität und Gesundheit gibt es schon viele Erkenntnisse darüber, was krank macht und was nicht. Da sich diese Erkenntnisse sehr schnell erweitern und auch verändern (wie KMF und WDVS u.a.) ist das proaktive Handeln sehr wichtig für die Glaubwürdigkeit. Transparenz in den Ergebnissen, Dokumentation des aktuellen Status, offene Karte in jeder Hinsicht. Nicht zuletzt hilft es, eventuelle Mehrkosten beim Bau oder der Sanierung ins Verhältnis zum eingesparten Ausfalltag des Mitarbeiters zu setzen. Hier gehen dann auch Kaufleute und Entscheider mit.
Welche Rolle spielen durch das Gebäude induzierten Kosten in Relation zu den Personalkosten?
Dazu ein kurzes Rechenbeispiel: Eine Büroimmobilie mit 25 Mio. Euro Baukosten, 15.000 m² Bruttogeschossfläche und 500 Arbeitsplätzen bedeutet eine einmalige Investition von 50.000 € pro Arbeitsplatz. 2,5% Abschreibung (Afa) pro Jahr ergeben 1.250 Euro/a je Arbeitsplatz. Bei 60.000 € angenommene Bruttopersonalkosten pro Mitarbeitendem entstehen bei 500 Arbeitsplätzen 30 Mio. Euro an Personalkosten pro Jahr. Sinkt die Zahl der Krankheitstage nur um 0,5 %, sind das 150.000 € pro Jahr, also 300 € je Mitarbeiter und Jahr. Würde gesünder bauen und sanieren hoch gegriffen 5 Prozent mehr kosten, erhöht sich die Afa pro Arbeitsplatz um 62,5 Euro pro Jahr. Diese Mehrkosten werden durch die eingesparten Ausfallkosten mit 300 € pro Jahr überkompensiert. Und 5 Prozent Mehrkosten für geprüft gesünderes Bauen sind hoch angesetzt. Mit rechtzeitiger Planung und Auslegung liegen Mehrkosten laut Erfahrungen des Sentinel Haus Instituts im Bereich von Null bis 2 Prozent.
Karl Friedrich Lamm
Der selbstständige Dipl.-Wirtschaftsingenieur ist beruflich wie auch privat leidenschaftlicher Immobilienfachmann. Vorlageberechtigter Ingenieur, in NRW Beratender Ingenieur in der Ingenieurkammer NRW, bundesweit tätiger Sachverständiger für die Immobilienbewertung. Von 1998 bis 2018 dauerhaft in leitender Führungsposition mit ganzheitlicher Verantwortung für die Entwicklung und Bewirtschaftung großer Bestandsportfolien, zuletzt als Geschäftsführer bei TÜV Rheinland Immobilien. www.KFL-RealEstate.com