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23.03.2017

Interview mit dem Umweltmediziner Dr. Frank Bartram

Es gilt das Motto „Meiden oder Mindern“

   
Herr Dr. Bartram, kann man durch Schadstoffe im Büro krank werden?


Das kann man sehr wohl. Ein Beispiel: Auch in modernen Büros werden meistens Laserdrucker oder Kopierer genutzt. Durch den verwendeten Toner können, vor allem beim Tausch der Kartuschen, erhebliche Schad- und Reizstoffe in den Raum entweichen. Das sind zum Beispiel Aluminium, Nickel und andere Schadstoffe. Wenn diese Substanzen in sehr kleinen Partikeln emittiert werden, handelt es sich um sogenannte Nanomoleküle.

Die Universität St. Gallen in der Schweiz konnte schon vor Jahren nachweisen, wie der Weg von inhalierten Nanopartikeln in den Organismus gelingt. Die Belastung durch Toneremissionen fällt im Quadrat zum räumlichen Abstand. Je weiter das Gerät vom Arbeitsplatz entfernt ist, umso besser. Idealerweise stellt man derartige Drucker in einen anderen Raum, in dem sich keine Personen regelmäßig aufhalten.

Die auch in Büros verwendeten modernen Innenausbaumaterialien können ebenfalls im Sinne einer Dauerexposition Belastungen darstellen, die zu Krankheitssymptomen führen können.

Aufschluss gibt häufig eine Anamnesefrage an Patienten mit unspezifischen Symptomen: Sind in einem Urlaub von mindestens zehn Tagen Dauer die Beschwerden regelmäßig deutlich besser geworden und treten sie in relativ kurzer Zeit nach Ende des Urlaubs wieder auf? Eine positive Antwort könnte ein erster Hinweis sein, dass im Büro schadhafte Substanzen vorhanden sind.

Ein weiteres hygienisches Problem kann durch moderne Klimaanlagen auftreten. Wenn Luft gekühlt wird, tritt Kondenswasser auf, was wiederum Mikroben (zum Beispiel Bakterien und Schimmelpilze) begünstigt. Es ist deshalb sehr wichtig, dass Klimaanlagen durch Fachkräfte regelmäßig gereinigt beziehungsweise hygienisiert werden.

Mögliche weitere nachweisliche Belastungen im Büro sind verschiedene Fußbodenbeläge, Einrichtungsgegenstände aus Kunststoff, Holz oder Metall, um nur die am häufigsten objektivierten Belastungen bei entsprechenden Patienten zu nennen.

 

Welches sind die Stoffe, die die größten Probleme machen?


Wie oben erwähnt, sind es oftmals Toner aus Laserdruckern oder Kopierern, ansonsten Emissionen aus Bodenbelägen, die zum Beispiel sehr häufig Weichmacher enthalten (PVC, Linoleum, je nach Qualität). Das Problem bei den aktuellen verwendeten Weichmachern ist, dass sie ubiquitär sind, das heißt, dass sie nahezu überall in unseren Gebäuden anzutreffen sind. Im Gegensatz zu früher verwendeten Weichmachern ist die Toxizität, also die Giftigkeit aktueller Weichmacher allerdings deutlich reduziert. Trotzdem darf man die Probleme, die heutige Weichmacher auch in anderen Innenräumen erzeugen, nicht unterschätzen. Bei Menschen, die solchen Weichmacher dauerhaft ausgesetzt sind, können generell Veränderungen des Hormonsystems auftreten. Wir nennen diese Substanzen endogene Disruptoren, weil sie eine östrogene Wirkung auf Dauerexponierte haben können.

Eine weitere Stoffgruppe sind Flammschutzmittel, die wiederum eine erhöhte Toxizität aufweisen. Aktuelle Flammschutzmittel besitzen ebenfalls eine Hormonaktivität im Sinne östrogenähnlicher Veränderungen. Zudem haben die derzeit benutzten Flammschutzmittel eine sehr lange Wirkdauer im Organismus, da sie im Fettgewebe exponierter Menschen abgelagert werden (Biopersistenz).


Durch welche Symptome äußerst sich das?


Dazu vorweg eine kurze Erläuterung: Die Frage weist auf eines der größten Probleme bei umweltassoziierten Erkrankungen hin. Nahezu alle Symptome bei nachgewiesenen umweltassoziierten Erkrankungen sind unspezifisch. Für unspezifische Symptome in der Medizin und auch in der Umweltmedizin kann es x verschiedene Ursachen geben. In unserer durch Leitlinien gestützten Analytik steht daher allen speziellen umweltmedizinischen Analysen, je nach Anameneseergebnis, die sogenannte Ausschlussdiagnostik voran.

Diese soll klare und eindeutig sicherstellen, dass nicht andere Erkrankungen und Ursachen vorliegen. Nur dann kann man sich erfolgreich der Systematik umweltmedizinischer Laboranalytik im Fachbereich Kurative/Klinische Umweltmedizin zuwenden.

Bezüglich der möglichen Symptome durch die meist langzeitige Exposition zu Innenraumschad- und Reizstoffen sind die oberen und unteren Atemwege, die Schleimhautabschnitte des Verdauungstraktes, das zentrale und periphere Nervensystem und das Immunsystem. Es gibt auch ganz allgemeine Symptome, wie z.B. das sogenannte Chronic Fatigue Syndrom (CFS), was bedeutet, dass Menschen mit CFS einen andauernden erheblichen körperlichen, physischen Leistungsmangel haben, der üblicherweise im krassen Missverhältnis zur Lebensführung und Lebensalter steht.

Ähnliches gilt für andere diffuse Beschwerden, wie Kopfschmerzen und Kopfdruck, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Aufenthalt in Büroräumen auftreten.


Gibt es außer Schadstoffen noch andere Einflussfaktoren, die die Gesundheit und die Befindlichkeit beeinträchtigen können?


Es gibt zum Beispiel sehr häufig Intoleranzreaktionen gegenüber verschiedenen elektromagnetischen Feldern, die auch allgemein als Elektrosmog bezeichnet werden. Im Rahmen der heute üblichen Funkvernetzung elektronischer Geräte gibt es kaum noch Arbeitsplätze, die nicht erhebliche, auch physikalisch messbare, elektromagnetische Felder emittieren. Wir beobachten seit längerer Zeit, dass das Tragen von metallischen Materialien im Körper, zum Beispiel metallische Dentalersatzmaterialien derartige Intoleranzreaktionen fördern kann.

Bei schwer ausgeprägten umweltassoziierten Erkrankungen stellen wir fast immer fest, dass diese Patienten mehreren Schadstoffeinflüssen gleichzeitig ausgesetzt sind, was insgesamt und auf die Länge der Zeit der Exposition dann zu den entsprechenden, oben geschilderten Symptomen führt.

Die Kombination, dass Schad- und Reizstoffe aus dem Arbeitsumfeld Büro, aus dem Innenraumumfeld Wohnung und aus dem Bereich Zahnersatzmaterialien oftmals in Kombination auftreten, ist die Regel. Diese Kombinationen sind grundsätzlich individuell und deswegen müssen auch zeitaufwendige Anamnesegespräche geführt werden, um die Lebensumstände in Innenräumen und in der Mundhöhle eines Patienten genau erfassen zu können.


Kann man aus Ihrer Sicht Schadstoffe und Negativeinflüsse vermeiden oder wenigstens reduzieren?

Die Antwort darauf ist einfach. Ich will versuchen, es kurz zu erklären:

Wenn eine umweltassoziierte Erkrankung schweren Ausmaßes nachgewiesen ist (hier liegt die Betonung auf nachgewiesen), bedeutet dies de facto, dass unsere leistungsfähigen, robust arbeitenden Regulationssysteme diese Schadstoffexpositionen nicht mehr kompensieren können.

Setzt man diesen Gedankengang fort, erkennt man, dass klassische Therapien (wie z.B. „eitrige Mandeln, eine Woche Penicillin, alles vorbei“) deswegen nicht wirken können. Denn derartige Medikamente müssten leistungsfähiger sein und besser wirken als unsere eigenen, robusten und hoch belastbaren Regulationssysteme. Das ist derzeit leider nicht denkbar.

Deswegen gilt bei der heilungsorientierten Behandlung von Patienten mit nachgewiesenen Expositionen zu Umweltschadstoffen das Prinzip „Meiden oder Minimieren“. Sprich Substanzen, die im Wesentlichen die Krankheit verursachen beziehungsweise befördern, ganz oder so gut wie möglich aus dem Lebensumfeld zu entfernen.

Mit Blick auf die Qualität moderner Arbeitsplätze wie z.B. Büros aber auch Wohnungen bedeutet dies, grundsätzlich bereits in Phase der Planung und Produktion so wenig verschiedene Substanzen wie möglich zu verbauen. Ein wichtiger Punkt, um erfolgreich Schadstoffe und Negativeinflüsse zu meiden oder zu minieren ist natürlich, diese zu kennen. Die Begründung ist einfach: je weniger verschiedenen Substanzen jemand ausgesetzt ist, desto einfacher hat es unser Körper damit umzugehen. Man muss aber auch wissen, dass Menschen unterschiedliche genetische Veranlagungen haben, wie der Körper mit Schadstoffen umgeht.


 
Wie sollte unter umweltmedizinischen Aspekten ein Büroarbeitsplatz gestaltet und ausgestattet sein, damit man dort gut und gesund arbeiten kann?

Da man sich bei dieser Frage nicht zwingend auf Informationen der Hersteller verlassen kann, sind unabhängige Messungen notwendig. Neben der angesprochenen Minimierung der eingesetzten Bau- und Innenausstattungsmaterialien, sollte ein moderner Arbeitsplatz im Büro gut belüftet sein. So sollte die Möglichkeit bestehen, mehrmals am Tag stoßzulüften. Auch ein guter Schallschutz und eine gute Akustik sollte zur Stressreduktion etabliert werden.

Man kann sich auch an derzeit bestehenden Arbeitsplätzen unter gewissen Umständen damit behelfen, dass man funktionierende und wirksame Raumluftfilter einsetzt. Dieses Prinzip wäre natürlich elegant zu umgehen, wenn von vorne herein wenig verschiedene Baustoffe und andere Substanzen in Innenräumen benutzt werden.

Im modernen Fertigbau müssten die Anbieter sehr genaue Innenraumschad- und Reizstoffanalysen zur Verfügung stellen, die zuverlässig sind und von unabhängigen Institutionen kontrolliert werden. Nur unter diesen Umständen kann ein Schadstoff reduzierter/minimierter Arbeitsplatz tatsächlich im Sinne der Nutzer gestaltet werden.

 
Haben Sie noch einen Tipp, wie man Belastungen im Büro reduziert, wenn es mit einem Komplettumbau noch dauert?

Ideal wäre es, wenn Arbeitsplatz und Arbeitszeiten von Menschen, die im Büro arbeiten, so gestaltet sind, dass zwischendurch Außenluftaufenthalte und mäßige, aber regelmäßige körperliche Aktivität durchgeführt werden. Der Grund: Zur Entsorgung von Schad- und Reizstoffen haben wir Menschen ein Lymphsystem. Dieses Lymphsystem hat im Gegensatz zum Herz-Kreislauf-System aber keine Pumpfunktion. Zur Lymphaktivierung benötigen wir also regelmäßige Bewegung. Ein idealer Arbeitsplatz beziehungsweise eine ideale Bürotätigkeit sollte Pausen beinhalten, in denen man mäßiges Bewegungsprogramm im Freien abspulen kann.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Thema Ernährung. Hat das Unternehmen eine Kantine, sollte mit dem Küchenchef/der Küchenchefin ein genaues Programm erarbeitet werden. Das Essen sollte aus hochwertigen, schadstoffreduzierten und natürlich wohlschmeckenden Lebensmitteln zubereitet werden, die wichtige Spurenelemente und Vitamine enthalten. Das hebt die Laune und verbessert und stabilisiert die Leistung der Mitarbeiter.
 


 
Literatur:
Leitlinien => „Handlungsbezogene umweltmedizinische Praxisleitlinien“,
Herausgeber: Deutscher Berufsverband der Umweltmediziner (www.dbu-online.de); November 2011.
Autoren: Bartram F, Bauer A, v. Baehr V, Bückendorf C-H, Donate H-P, Engelhardt V, Huber W, Klehmet M, Müller K, Ohnsorge P, Mai C, Träder J-M.

Mittlerweile liegen auch die Praxisleitlinien Kurativer Umweltmedizin vor und wurden als spezielle Peer-Reviewed-Artikel, Deutscher Ärzteverlag-zfa-z.allg.med, 2012; 88(6) aufgeführt.


4 Orginalia in der „Zeitschrift für Umweltmedizin“
Regulary listed in BIOBASE und EMBASE.
ZFU Heft 3/2002, Seite 141- 149, „MCS- eine chronische Entzündung?“
(W.R.Mayer, F.Bartram und W.P.Bieger)

ZFU Heft 4/2002, Seite 198- 205, „ Die Rolle vom oxidativem Stress in der Pathogenese vom MCS“.
(W.P.Bieger, F.Bartram, B.Knabenschuh, M.Penz, A.Neuer-Kritikos, W.Mayer

ZFU Heft 1 2003, Seite 30- 35, „Einfluss neuroinflammatorischer und neuroendokriner Mechanismen bei MCS“.
(B.Knabenschuh, F.Bartram und W.P.Bieger)

ZFU Heft 2/2003, Seite 80-86, „MCS ein NF-KappaB-getriggerter Entzündungsprozess“.
(N.Prang, W.R.Mayer, F.Bartram und W.P.Bieger)

„Qualitätssicherung beim Lymphozyten Transformationstest und Zytokin – Effektorzellstatus“ Addendum zum LTT – Papier der RKI-Kommission „Methoden und Qualitätssicherung in der Umweltmedizin“

Mitteilung der Kommission Methoden und Qualitätssicherung in der Umweltmedizin des Robert Koch Instituts. Online publiziert 7.9.2008

 
Chiara de Luca et al:
„The Search for Reliable Biomarkers of Desease in Multiple Chemical Sensitivity and Other Environmental Intolerances“
International Journal of Environmental Research and Public Health, ISSN 1660-4681; 2011, 8, 2770 – 2779

 
Bartram, Frank:
„Schimmelpilzbelastung in Innenräumen als (Mit-)Ursache umweltmedizin-ischer Gesundheitsstörungen“;
Zeitschrift „umwelt – medizin – gesellschaft“ 14 4/2001, S. 305 – 310

 
S. Schuchardt, H. Kruse, O. Wassermann:
„Von Schimmelpilzen in Innenräumen gebildete leicht flüchtige organische Verbindungen – Bewertung der gesundkeitlichen Risiken“

 Schriftenreihe des Instituts für Toxikologie Universitätsklinikum Kiel, Heft 46, 2001, S. 110 – 113, ISSN 0947-4250

 
Original Article
„Chronic fatigue syndrome and mitochondrial dysfunktion“

 Sarah Myhill, Norman E. Booth², John McLaren-Howard³

 Int J Clin Exp Med (2009) 2, 1-16

Jacobi-Gresser E et al. Genetic and immunological markers predict titanium implant failure: a retrospective study. Int J Oral Maxillofac Surg. 2012 Aug


Frank Bartram, H.-P. Donate, Kurt E. Müller, C.-H. Bückendorf, Peter Ohnsorge, Wolfgang Huber, Volker von Baehr
Bedeutung von Epikutantest und Lymphozytentransformationstest für die Diagnostik von Typ IV-Senibilisierungen
Stellungnahme des Deutschen Berufsverbandes der Umweltmediziner


B. Summer, S. Ständer, F. Kapp, P. Thomas
„Rolle des Lymphozytentransformationstest zur Beurteilung einer Metallsensibilisierung“